06 by Alan
Autor:Alan
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
veröffentlicht: 0101-01-01T00:00:00+00:00
18
Der Abend verstrich, und ich hatte noch viel zu tun. Ich schloss die Tür wieder ab, zog den Eimer hinter dem Vorhang hervor und wollte eben den hölzernen Sargdeckel wieder abnehmen, als es abermals klopfte.
Ich fürchte, mir entschlüpfte ein Wort, das unter den gegebenen Umständen nicht ganz passend war.
Aber gut, dachte ich dann, immerhin hatte ich noch nicht richtig mit meinem Experiment angefangen. Lieber jetzt gestört werden als später.
Ich breitete das Tuch wieder über den Sarg, drehte den Schlüssel um und öffnete die Tür.
Vor mir stand Vater.
Er sah furchtbar aus. Als stünde der Tod persönlich auf der Schwelle.
Ich hatte angenommen, er läge im Bett, von einem Schlafmittel betäubt. Was konnte so wichtig sein, dass er doch wieder aufgestanden war? Oder hatte er gar nicht geschlafen?
Hinter ihm im Flur standen zwei der Männer, die ich schon am Bahnhof gesehen hatte. Sie trugen inzwischen keine Hüte mehr und hatten auch keine Regenschirme am Arm, trotzdem erkannte ich sie sofort.
»Das ist meine Tochter Flavia â¦Â«, setzte Vater an, aber ehe er weitersprechen konnte, hatte sich schon einer der Männer an uns beiden vorbeigedrängt und war im Boudoir verschwunden. Der gröÃere blieb drauÃen im Flur. Ich sah jetzt, dass er eine schwarze Tasche dabeihatte, die mich an Dr. Darbys Tasche erinnerte, nur dass die Tasche des Fremden viel gröÃer war.
Dann fiel mir mit Schrecken ein, dass ich sein Gesicht kannte â und zwar nicht nur vom Bahnhof. Sein Foto war in allen Zeitschriften gewesen ⦠wie er im Trenchcoat vor dem Gebäude einer alten Leichenhalle eintraf, und zwar zur Zeit der Koffermorde in Swindon.
Und nun war er hier in Buckshaw: Sir Peregrine Darwin, der legendäre Rechtsmediziner des Innenministeriums, mit seiner berühmten zerzausten weiÃen Mähne und allem Drum und Dran. Ich konnte es kaum glauben. Was in aller Welt hatte ihn aus dem fernen London zu uns geführt?
»Meine Tochter Flavia â¦Â«, nahm Vater einen zweiten Anlauf. »Flavia hält â¦Â«
»Vielen Dank, Colonel de Luce«, fiel ihm Sir Peregrine ins Wort. »Wenn wir noch etwas brauchen, lassen wir Sie holen.«
Lassen wir Sie holen? Ihn? Vater? In seinem eigenen Haus? Wofür hielten sich diese Leute?
Vater nahm mich so sanft am Arm, dass ich kaum etwas spürte, und zog mich in den Flur hinaus. Der Rechtsmediziner folgte seinem Kollegen ins Boudoir, und die grün bespannte Tür fiel hinter den beiden zu.
»Klick!«, machte es, als der Schlüssel schwungvoll umgedreht wurde.
Vater und ich waren allein.
Offenbar sah er mir an, dass ich kurz vor einem Wutanfall stand, aber bevor ich ein Wort sagen konnte, beugte er sich zu mir herunter und raunte mir ins Ohr: »Das Innenministerium.«
Als würden diese beiden Worte alles erklären.
»Aber warum?«
Vater legte mahnend den Zeigefinger auf die Lippen, dann bedeutete er mir, ihm zu folgen.
Er öffnete die Tür zu seinem Schlafzimmer und winkte mich herein.
Es war das erste Mal seit ungefähr einem Jahr, dass ich wieder in seinem Zimmer stand, aber alles war noch genauso, wie ich es in Erinnerung hatte: Als würde hier, wie im Britischen Museum, im Lauf der Jahrhunderte nie etwas angerührt, sondern alles nur ehrfurchtsvoll betrachtet.
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